Wir Koblenzer haben verstanden … Ein Leserbrief von Hans-Josef Graefen

Wir Koblenzer haben verstanden … Ein Leserbrief von Hans-Josef Graefen

Nachdem die Koalitionäre am 28.04.2011 in einer Tag- und Nebelaktion den völlig überraschten Behördenleitern und Mitarbeitern des Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft sowie einer staunenden Öffentlichkeit über die Medien kalt lächelnd die Zusammenführung beider Oberlandesgerichte am Standort Zweibrücken verkündet hatten, stellte sich schon binnen weniger Tage heraus, dass dieser Beschluss ohne jede Faktenlage, Berechnungen oder Erhebungen gefasst und die basisorientierten GRÜNEN nicht einmal so richtig mitbekommen hatten, was sie da eigentlich beschlossen haben. Die mangelnde Kommunikation und völlige Konzeptionslosigkeit dieses Vorhabens wurde in der Folgezeit mit vorgeblichen Begründungen zu kaschieren versucht, die sich allesamt als irreführend, nicht tragfähig und teilweise sogar frei erfunden herausstellten. Die Halbwertszeit dieser Begründungen betrug zum Teil nur wenige Tage:

Dies beginnt schon mit dem großen Wort einer (angeblichen) Justizstrukturreform. Was ist das für eine rudimentäre Strukturreform, die sich in der Zusammenlegung, d. h. einer mit fortschreitender Zeitdauer immer kleiner geredeten Teilverlagerung eines Oberlandesgerichts und einer Generalstaatsanwaltschaft erschöpft und durch die gleichsam angehängte Auflösung eines Verwaltungsgerichts mehr kaschiert denn untermauert werden soll. Ich möchte mich nicht zum Fürsprecher der rheinland-pfälzischen Verwaltungsgerichtsbarkeit aufschwingen; aber wenn Gerichtsstandorte sachgerecht und funktional verteilt sind, dann sind es die vier Verwaltungsgerichte in Mainz, Neustadt, Koblenz und Trier, die das gesamte Land regional abdecken. Hieran etwas zu ändern und dabei auch noch das Gericht in der Landeshaupt- und Universitätsstadt Mainz mit der zentralen Zuständigkeit für die Numerus-Clausus-Verfahren aufzulösen, ist gerichtsorganisatorischer Unsinn.

Als Gründe für das gewaltige Reformvorhaben wurden zu Beginn der Diskussion der Rückgang der Geschäftszahlen und Sparzwänge (Schuldenbremse) ins Feld geführt, aber nicht ansatzweise hinterlegt.
Zu dumm, dass sich bei genauer oder besser gesagt erstmaliger Betrachtung herausstellte, dass die Geschäftszahlen beim Oberlandesgericht Koblenz im letzten Jahr deutlich gestiegen waren und man für 2011 Rekordeingänge hochrechnen kann. Zu dumm auch, dass bei dem von Anfang an ausgewählten, aber bis heute nicht offiziell bestätigten Verwaltungsgericht Mainz die Eingänge im Jahr 2010 ebenfalls deutlich gestiegen waren. Das Argument „Rückgang der Geschäftszahlen“ wurde deshalb nicht mehr weiterverfolgt.
Wenden wir uns dem Sparzwang zu: Wer wollte dem etwas entgegenhalten, steht die Schuldenbremse inzwischen sogar in der Landesverfassung. Selbst wenn man Sparen lediglich dahingehend definiert, dass man künftig weniger ausgeben will als bislang, so erfordert dies zumindest eine entsprechende Vergleichsberechnung oder Schätzung. Eine solche Grundlagenerhebung ist indes nie erfolgt; sie wurde auch bis heute nicht einmal ansatzweise nachgeholt. Einsparungen werden vielmehr ständig gefordert und schlicht und einfach ins Blaue hinein behauptet. Zwar hat sich der ein oder andere Protagonist in seiner verzweifelten Argumentationsnot dazu hinreißen lassen, mal die ein oder andere Zahl zu nennen; diese konnte dann aber nicht mehr bestätigt werden, der Justizminister verweist auf den Finanzminister und dieser spricht von „Zielvorgaben“ und spielt den Ball oder besser die „heiße Kartoffel“ wieder an den Justizminister zurück. Aus heiterem Himmel zog der Finanzminister 27 einzusparende Stellen aus dem Hut, die bereits im nächsten Satz auf 20 bis 30 relativiert wurden und zu denen sich schließlich weder der Finanzminister noch der Justizminister erklären wollten.
Eines steht fest: ermittelt, geprüft oder berechnet wurde bis heute nichts. Das braucht man auch nicht. Es bedarf nämlich keiner Arbeitsgruppe und keiner betriebswirtschaftlichen Fachkenntnisse, um zu der sicheren Gewissheit zu gelangen, dass mit einer (teilweisen) Verlagerung des größeren Gerichts an den hierfür in keiner Weise vorbereiteten Standort des deutlich kleineren Gerichts zudem noch im äußersten und verkehrstechnisch weit unterdurchschnittlich erschlossenen Landesteil auf die nächsten 10 bis 20 Jahre (Trennungsgeld, Umzugskosten, Prozesskostenhilfe, Reisekosten, Neubau, Anmietung etc.) nicht die geringste Einsparung zu erzielen ist. Dies hat offenbar auch der Justizminister erkannt, wenn er inzwischen eingesteht, dass die Reform zunächst einmal sogar teurer werden kann.

Damit es nicht in Vergessenheit gerät; zu Beginn der Diskussion wurde auch noch das „günstige Zeitfenster“ ins Feld geführt, dass man durch die nicht ganz zufällige „Stellenvakanz“ im Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz und des Generalstaatsanwalts Zweibrücken geöffnet sah. Kann eine Vakanz schon für sich betrachtet kein Argument für organisatorische Überlegungen oder gar „Strukturreformen“ sein, so wird dies auch durch die von den Koalitionären offenbar zugrunde gelegte „Ungleichung“ bestätigt: Weil die Präsidentenstelle in Koblenz frei ist, verlagert man das OLG nach Zweibrücken, und weil die Stelle des Generalstaatsanwalts in Zweibrücken vakant ist, verlagert man die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz ebenfalls nach Zweibrücken; das ist doch logisch – oder? Das die Regierung ihre eigene Argumentation selbst nicht ernst nimmt, wird auch dadurch belegt, dass sie die zum 01.09.2011 eintretende Stellenvakanz im Präsidentenamt beim Verwaltungsgericht Koblenz trotz beschlossener Auflösung eines Verwaltungsgerichts nicht genutzt, sondern dieses „geöffnete Zeitfenster“ frühzeitig dadurch geschlossen hat, dass man dem ausgewählten Bewerber die Ernennungsurkunde bereits am 21.06.2011 ausgehändigte. Man kann also die Argumente suchen, wie man sie braucht, ja man darf sie sogar erfinden.

Wer erinnert sich noch an den Zusammenschluss mit dem Saarland oder besser gesagt an die perspektivisch ins Auge gefasste Zusammenlegung des zuvor bereits durch Zusammenlegung gestärkten OLG Zweibrücken mit dem OLG Saarbrücken. Ich glaube selbst der Erfinder dieser genialen Idee (schon die Gesetzeslage lässt einen länderübergreifenden Zusammenschluss nicht zu) will hieran nicht mehr erinnert werden. Der Ministerpräsident des Saarlandes übrigens auch nicht, war er hiervon doch auf gleichem Wege, d.h. über die Medien und ohne jegliche Vorbefassung überrascht worden, wie zuvor die „nachgeordneten Behörden“ von ihrer Auflösung. Zumindest dürfte der Ministerpräsident des Saarlandes aber für sich in Anspruch nehmen, als „gleichrangiger Gesprächspartner“ behandelt zu werden, ein Status, der einem Justizvertreter, und sei es der Generalstaatsanwalt oder der Oberlandesgerichtspräsident noch lange nicht vergönnt ist.

In jüngster Zeit zieht man zunehmend den „Ländervergleich“ als Argument heran, beschränkt diesen aber allein auf die Größe anderer OLG-Bezirke. Dies trifft auch durchaus zu; man verschweigt dabei aber ganz bewusst, dass es nicht ein einziges Bundesland gibt, dessen zentral zuständiges Oberlandesgericht an der äußersten Peripherie des Landes liegt, verkehrstechnisch wenig erschlossen ist und deshalb Anreisewege von mehr als vier Stunden erfordert.

Relativ neu ist auch das Argument des „demographischen Wandels“. Diesen Wandel kann keiner bestreiten. Die Urheber dieses Schlagworts lassen aber jede Erläuterung vermissen, inwieweit und wann sich dies auf die Entwicklung der Geschäftszahlen auswirken soll. Die Erbschafts-, Nachlass- und Betreuungsverfahren dürften jedenfalls ansteigen. Kurios ist es auch, angesichts des zu erwartenden Rückgangs der Bevölkerung den zentralen Gerichtsort ausgerechnet in die Randregion mit einer präsumtiv geringeren Bevölkerungsdichte zu verlegen. Damit wären wir mal wieder bei der Bürgernähe angelangt; doch davon will man nichts mehr wissen, jedenfalls jetzt nicht und überhaupt.

In der sich ständig steigernden Erklärungsnot hat man sogar noch „historische Gründe“ ausgegraben, die für den Standort Zweibrücken sprächen. Da ich mit meinem Leserbrief durchaus ernsthafte Absichten verfolge, möchte ich von einer Bewertung dieses Arguments, wenn auch schweren Herzens, Abstand nehmen. Unter dem Eindruck der dem Ministerpräsidenten ebenfalls zugeschriebenen Begriffe „Lateinamerika“ und „Hyperventilieren“ lasse ich es vielmehr bei dem hieran angelehnten Appell „Archäologie statt Anarchie“ bewenden.

Bleibt schließlich noch der „strukturpolitische Aspekt“, der mit der beabsichtigten Stärkung der Pfalz nur unvollkommen umschrieben werden kann. Hierzu zwei Anmerkungen:
Erstens – die Justiz und deren Aufgabe einer sachgerechten, effizienten und bürgernahen Rechtgewähr kann nicht von strukturpolitischen Überlegungen beeinflusst oder gar beherrscht werden. Das ist ein völlig falscher und unzulässiger Ansatz.
Zweitens – mir fällt keine strukturpolitische Maßnahme ein, bei der trotz an Ort und Stelle fortbestehenden Bedarfs und bei unveränderten Verhältnissen die eine Region dadurch gestärkt wurde, dass man eine andere Region durch Abzug von Institutionen und Beschäftigten entsprechend schwächte. Das ist jedenfalls keine ausgewogene Strukturpolitik.

Ungeachtet der dargestellten Ungereimtheiten und Widersprüche hält die Landesregierung unverändert an ihrem Vorhaben fest. Eine erste Prüfung und Grundlagenermittlung sollen durch eine Arbeitsgruppe erfolgen, die am 28.06.2011 erstmals zusammengetreten ist und sich nach Konstituierung auf Mitte August vertagt hat. Eine ergebnisoffene Prüfung wurde dabei von dem Justizminister erneut ausgeschlossen, wie er auch eine schriftliche Vorgabe des Prüfungsauftrags (Tischvorlage, Eckpunktepapier etc.) abgelehnt hat. Nachdem der Endpunkt der ins Auge gefassten Zeitschiene in den letzten Wochen wiederholt zwischen Mitte 2012 und Ende 2012 hin und her pendelte, hat der Ministerpräsident am 14.07.2011 beschlossen und über das SWR-Fernsehen verkündet, diesen auf Ende 2011 fest zu setzen. Als Begründung hierfür hat er die „tauben Ohren“ und „emotionalen Entwicklungen“ vor Ort herangezogen. Diese Logik überrascht. Wir würden ja gerne hören, wenn doch nur einer etwas Vernünftiges sagte; und die Emotionen gehen hoch, weil bislang nichts, aber auch gar nichts geprüft wurde. Und weil dies so ist, soll nunmehr die noch nicht einmal begonnene Prüfung drastisch verkürzt werden. Diese Konsequenz dürfte die Emotionen kaum besänftigen. Sie sind die absehbare Folge, wenn Sachargumente keine Rolle spielen, jedenfalls dann nicht, wenn sie gegen eine Verlagerung sprechen. Stichwort: Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung. Wir haben verstanden.

Hans-Josef Graefen, Koblenz

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